Der Begriff Gründerzeit, auch Neorenaissance, bezeichnet einen deutschen Möbel- und Wohnstil des späten 19. Jahrhunderts, der zur kunstgeschichtlichen Epoche des Historismus gezählt wird. Dabei bezieht sich die Wortbildung „Gründer“- Zeit auf die Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871.
Der Gründerzeitstil ist durch die Wiederentdeckung der Renaissance geprägt. Das Industriezeitalter hat bereits begonnen; im Allgemeinen überwiegt jedoch noch der handwerkliche Einsatz. Nur stiltypische Ausschmückung, z.B. vorgefertigte Applikationen, Profilleisten, Füße usw. werden schon als Fertigprodukte bezogen. Der Unterschied zwischen Handarbeit und Maschinenarbeit ist kaum feststellbar.
Typisch für den Stil ist eine eher geradlinige symmetrische Bauweise und die Nutzung des günstigeren Weichholzes (für das die Materialkunde und das Wissen um den ökonomischen Einsatz weiter entwickelt ist). Dazu kommen Applikationen und Verzierungen aus der Renaissance und Renaissance-Elemente wie kugelartige Füße, Baluster, Muschel- und Giebelformen, Diamantquader, u.v.m.
Bei elitären Stücken findet man auch Akanthusranken, Masken, Greifen, Medaillons und Büsten. Dieselben Ausschmückungen finden sich in der Architektur wieder.
Als Gründerzeit wird im weiteren Sinne eine Phase der Wirtschaftsgeschichte im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn des 19. Jahrhunderts bezeichnet, die mit der breiten Industrialisierung einsetzte und bis zum „Gründerkrach“ (großer Börsenkrach von 1873) andauerte. Im engeren Sinn werden dabei als Gründerjahre die ersten zwei Jahre nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs (1871–1873) bezeichnet,[1] als Deutschland nicht zuletzt durch die französischen Reparationszahlungen eine Hochkonjunktur-Phase erlebte. Die auf den Börsenkrach folgende Gründerkrise bedeutete eine rund zwanzig Jahre andauernde Phase wirtschaftlicher Stagnation. Das Wort „Gründer“ hatte in dieser Zeit jedoch einen eher negativen Klang, weil von den zahlreichen neu gegründeten Aktiengesellschaften nicht wenige rein spekulativen Charakter hatten und in der Krise schnell in Konkurs gerieten.[2][3] Zeitgenössisch bezog sich der Ausdruck Gründerzeit nur auf die Phase des Wirtschaftsaufschwungs.
Davon abweichend wird der Begriff Gründerzeit im kulturgeschichtlichen und vor allem im architekturgeschichtlichen Verständnis (wo er üblicherweise als Synonym für Historismus gebraucht wird) meist für die gesamte Phase nach 1870 und oft bis 1914 verwendet, so dass dabei die lange wirtschaftliche Krisenzeit ausgeblendet wird.
Die Gründerzeit fällt in jene Epoche, in der das Bürgertum in Mitteleuropa die kulturelle Führung übernahm. Sie gilt daher auch als Hochzeit des klassischen Liberalismus, wenn auch dessen politische Forderungen nur teilweise und eher am Ende dieses Zeitraums umgesetzt wurden. Bezogen auf die deutsche Geschichte bezeichnet der Historiker Christian Jansen daher die Zeit zwischen der Revolution 1848/49 und der Reichsgründung 1866/1871 als Gründerzeit. Der Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew beschreibt den Wirtschaftsaufschwung dieser Periode in Mitteleuropa als die aufsteigende Phase des zweiten Kondratjew-Zyklus.
Die Industrialisierung stellte auch ästhetisch neue Aufgaben, vor allem in der Architektur und im Kunsthandwerk. Gleichzeitig reagierten die Menschen auf die schnellen und großen Veränderungen im Lebensalltag mit einer Hinwendung zu Tradition und Geschichte. Dies drückte sich in einer eklektizistischen Weiterentwicklung vorhandener Formen aus. Daher ist mit „Gründerzeitstil“ der Historismus gemeint. Da der Historismus aber bis nach 1900 der vorherrschende Stil blieb, ergibt sich die stark abweichende Verwendung des Begriffs, insbesondere im umgangssprachlichen Gebrauch. In stilgeschichtlichen Zusammenhängen werden sehr unterschiedliche Zeiträume damit bezeichnet, so etwa 1850–1873, 1871–1890, manchmal sogar 1850–1914.
Quelle: Wikipedia